Nürnbergs OB Ulrich Maly in Puchheim

24. Mai 2012

Am Freitag, den 4. Mai 2012 war Dr. Ulrich Maly (in der Bildmitte), Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg und Vorsitzender des Bayerischen Städtetags, zu Gast in Puchheim.

Gemeinsam mit dem Puchheimer SPD-Bürgermeisterkandidaten Norbert Seidl (im Bild re.) und dem SPD-Unterbezirksvorsitzenden Michael Schrodi (li.) beleuchtete er rhetorisch brilliant die Rolle der Kommune als Keimzelle unserer Demokratie.

Zuvor besuchten Maly und Seidl das Puchheimer Mehrgenerationenhaus ZaP in der Heussstraße.

In seiner Begrüßungsrede stellte Norbert Seidl seinen Bezug zur Überschrift der Veranstaltung her: Die Kommune als Heimat und Keimzelle der Demokratie.

"Mehr Miteinander" lautet dementsprechend eine zentrale Überschrift seines Wahlprogramms. Jung und Alt, Dorf und Stadt, Arm und Reich, Fremd und Heimisch, dies seien die Pole, zwischen denen sich das Zusammenleben in einer Kommune bewege. Und damit seien auch die wichtigsten Betätigungsfelder für die Kommunalpolitik vorgezeichnet: Der Umgang mit der demographischen Entwicklung, die Modernisierung der Umwelt und die Vermeidung einer Spaltung der Bürgerschaft in Modernisierungsverlierer und -gewinner.

Seidl gehe es um ein "aktives Miteinander". Die Stadt müsse "Heimat für alle Menschen" sein - Heimat im positiven Sinne, denn leider sei dieser Begriff inzwischen durch die mißbräuchliche Verwendung seitens rechtsextremer Kreise negativ belegt.

Der Puchheimer Bürgermeisterkandidat skizzierte in seiner Rede die "Fruchtfolge", die die Zuwanderung nach Deutschland in der Nachkriegszeit bestimmte. Zunächst seien es die Gastarbeiter gewesen - er erinnerte in diesem Zusammenhang an das kürzlich stattgefundene 50-jährige Jubiläum des Anwerbeabkommens. Dann kamen im Zuge der Ostöffnung sehr viele Menschen in unser Land, darunter auch viele Aussiedler aus dem russischen Raum. Und inzwischen sei die Immigration vor allem durch Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge aus der ganzen Welt und auch durch die Erweiterung der Europäischen Union geprägt. Dabei dürfe man nicht vergessen, dass die Gründe für die Flucht der Menschen aus ihren Ländern oftmals auch durch uns alle mitversursacht würden.

Eine Lanze brach Seidl für die Einheimischen: Diese lebten täglich Toleranz. Ganz im Gegensatz zu den Neonazis. "Wir", so Seidl, "müssen weniger Angst haben vor dem türkischen Gemüsehändler als vor den besonders deutschen Deutschen!".

Das Mehrgenerationenhaus ZaP, das Seidl gemeinsam mit Dr. Maly vor der Veranstaltung besuchte, sei eine der Keimzellen für Heimat und Demokratie, und zwar für Einheimische und für neu Hinzugekommene. Dort kämen alle Generationen und Schichten zusammen. Die Menschen kämen dort miteinander ins Gespräch und daraus entstünden dann gegenseitiger Respekt und Rücksichtnahme. Er erinnerte daran, dass es damals die SPD-Fraktion im Puchheimer Stadtrat war, die das ZaP gegen die Skepsis der CSU durchsetzte. "Inzwischen", so Seidl, "zweifelt wohl auch dort niemand mehr am ZaP".

"Als Sozialdemokraten ist es unsere Verpflichtung, den Fokus unseres Handelns auf die Schwächeren und nicht auf die Starken zu richten", erwärmte Seidl die Herzen der anwesenden SPD-Mitglieder. Der Staat dürfe nicht aus seinen Pflichtaufgaben entlassen werden.

Als Beispiel für Einsparungen an der falschen Stelle nannte Seidl die Kürzungen beim Projekt "Soziale Stadt" durch den zuständigen CSU-Bundesminister Ramsauer. Auch am Betreuungsgeld, das Seidl als "Herdprämie" bezeichnete, übte er scharfe Kritik. Hierdurch würden sozial Schwächere noch weiter ausgegrenzt. Eigentlich sei das Betreuungsgeld auch nur eine weitere Sparmaßnahme des Staats, da man sich dort wohl erhoffe, wegen der daheim erziehenden Eltern viele Kinderbetreuungsplätze nicht mehr anbieten zu müssen. Eine Politik, die ganz klar an der Lebenswirklichkeit der allermeisten Familien in diesem Land vorbeigeht.

Grundbaustein für eine funktionierende Demokratie sei die Teilhabe aller, betonte Seidl. Demokratie brauche aber vor allem auch Geduld, Toleranz und geordnete Finanzen.

In seinem Grußwort suchte sich Michael Schrodi, Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Fürstenfeldbruck, als Beispiel für den Begriff "Heimat" das altehrwürdige Städtische Stadion an der Grünwalder Straße (im Volksmund auch Sechzgerstadion genannt) aus.

"Heimat ist dort, wo das Herz wehtut", zitierte Schrodi den Text eines Transparents, das bei den Spielen der Löwen im Grünwalder Stadion öfters zu sehen ist. Dieses Transparent zeige eine Parallele zur Bedeutung von Heimat im "normalen Leben": Die Menschen müßten sich wohlfühlen an dem Ort, an dem sie leben. Dann könne aus diesem Ort eine Heimat werden.

Ein wichtiger Baustein für das Wohlfühlen sei das Gefühl der Solidarität in einer Gemeinschaft. Hier habe die Mehrheit im Kreistag mit ihrer Forderung an die Landeshauptstadt München, diese möge sich an der Finanzierung der Zweiten Stammstrecke finanziell beteiligen, genau das falsche Zeichen gesetzt. Die Solidarität unter den Kommunen müsse großgeschrieben werden und dürfe durch solche Forderungen nicht in Frage gestellt werden.

Aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht, so Maly, sei eine Stadt eigentlich nur eine "große Bedürfnisbefriedigungsmaschine".

Aber man kann die Funktion einer Kommune eben nicht nur aus betriebswirtschaftlicher Sicht beurteilen. Der Begriff "Heimat", so Maly, sei philosophisch nur schwer zu umreissen. "Heimat ist der Ort in der Kindheit, an dem man niemals wirklich war".

Die Geschichte der Demokratie sei eine Geschichte der Kommunen, so Maly. Dies sei schon bei den Alten Griechen und Römern so gewesen.

Dabei seien Kommunen an sich kein "Harmoniemodell", sondern ein "Konfliktmodell". So habe Deutschland auch kein Zuwanderungs-, sondern ein Nachbarschaftsproblem. Die Aufgabe der Politik sei es, diese Konflikte zu organisieren.

Dies könne aber nur teilweise über die rein materielle Bedürfnisbefriedigung gelingen. Denn "das Gemeinwohl ist eben doch mehr als die Summe aller Einzelinteressen", so Maly. Der Neoliberalismus müsse endlich "auf den Müllhaufen der Theoriegeschichte der Welt geworfen werden", forderte der Nürnberger Oberbürgermeister angesichts der aktuellen Krise. Staat und freies Wirtschaften müßten in Balance zueinander bleiben.

Politik insgesamt und insbesondere auch die Kommunalpolitik sei das ewige Zusammenspiel zwischen "Verheißung und Zumutung". Maly sieht die Umsetzung von Politik dabei als das "Verabreichen von Zumutungen in fortlaufender Reihe". Wichtig sei, dass die "Erzählung", die hinter all den Zumutungen steht, für die Menschen verständlich ist. Wenn diese "Erzählung" glaubwürdig ist, dann kann Politik gut funktionieren. Denn die Menschen sehnen sich nach bleibenden Werten wie Heimat. Und hieraus könne dann auch ein "gesunder Lokalpatriotismus" im positiven Sinne entstehen.

Apropos Sehnsucht: Der Wunsch nach Solidarität sei in Deutschland stark verwurzelt, soziale Gerechtigkeit sei nach wie vor ein hohes Gut. Dennoch sei um die Stärke des Staats eine heftige Debatte entbrannt. Für Maly muss der Staat aber DER Garant für den sozialen Ausgleich bleiben. Er müsse dafür sorgen, dass die Menschen Familie und Beruf besser unter einen Hut bekommen können, so wie es z.B. in Frankreich und in den skandinavischen Ländern der Fall sei. Es sei kein Zufall, dass die Geburtenrate in diesen Ländern deutlich höher sei als in Deutschland (Frankreich 2,2 Kinder je gebährfähiges Paar, Deutschland nur 1,43).

"Was muss eine Stadt den Menschen bieten?", fragte Maly. Immerhin nehme ein Mensch in seinem Leben von der Geburt bis zu seinem Tod zu 90 % kommunale Leistungen in Anspruch.

Nach seiner Ansicht zunächst einmal - auch aus der Historie heraus - Schutz und Sicherheit. Hierzu zitierte Maly Willy Brandt, der einst sagte: "Freiheit ist zuallererst die Freiheit von Angst". Die Kommune müsse ein Garant für die öffentliche, für die soziale und für die ökologische Sicherheit sein.

Des weiteren biete eine Kommune die Gelegenheit zur Kommunikation. Diese fände in der Kommune unmittelbar statt. Die Gemeinde bzw Stadt gewährleiste so den kulturellen Pluralismus in einer Gesellschaft und generiere dadurch Offenheit auch für "Fremdes", Neues. Diese Offenheit brächte dann auch die Fähigkeit zu strategischen Allianzen mit sich, um anspruchsvolle Ziele gemeinsam erreichen zu können.

Dann biete eine Kommune natürlich auch Sicherheit im finanziellen Bereich und, im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung, auf die Menschen zugeschnittene Regelwerke.

Außerdem hätten die Bürger ein Recht auf Menschen und nicht auf Funktionäre. Auf Menschen, die sich das Recht zum Nachdenken ausbedingen und nicht schon allumfassende Antworten geben, bevor überhaupt die dazugehörigen Fragen gestellt wurden.

Zum Ende seines rhetorisch brilliant in freier Rede gehaltenen und mit vielen Zitaten gespickten Vortrags bemühte Maly den berühmten deutschen Soziologen Max Weber: "Politik ist das lange und langsame Bohren dicker Bretter. Sie erfordert Leidenschaft und Augenmaß.“ Und wenn es am Ende dann doch nicht funktioniert, bleibe immerhin noch der von Comedian Frank Goosen formulierte Trost: "Woanders is' auch scheiße!".

Wir danken Dr. Ulrich Maly für seinen Besuch in Puchheim und wünschen ihm für die weitere Arbeit als Nürnberger Oberbürgermeister viel Erfolg.

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